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Berührende Schicksale vermitteln Widerstands-Geschichte

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"Ich sterbe stolz und aufrecht" lautet der Titel eines Buches, das am 7. Mai 2013 im Rahmen der "Anne Frank - eine Geschichte für heute"-Wanderausstellung in der Galerie am Polylog in Wörgl vorgestellt wurde. Die Autorin Dr. Gisela Hormayr recherchierte in dreijähriger Arbeit die Geschichte des NS-Widerstandes der Tiroler Arbeiterbewegung und schildert darin die berührenden Lebensgeschichten von SozialistInnen und KommunistInnen, darunter jene des Wörgler Ehepaares Josefine und Alois Brunner, die beide vom Volksgerichtshof des NS-Regimes zum Tod verurteilt wurden.

 

Die Geschichte des linken Tiroler NS-Widerstandes stand lange Jahrzehnte im Schatten. Dass mit dem Buch "Ich sterbe stolz und aufrecht" jetzt eine detaillierte Schilderung der damals an Regimegegnern verübten Gräueltaten vorliegt, ist Dr. Gisela Hormayr zu verdanken. In dreijähriger Recherche rekonstruierte die Geschichte- und Englischlehrerin an der Handelsakademie Wörgl im Rahmen ihrer Doktorats-Arbeit am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck das Schicksal jener Tiroler SozialistInnen und KommunistInnen, die für ihren Widerstand gegen Hitler vor den Volksgerichtshof gebracht und viele davon zu langjähriger Haft oder zur Todesstrafe verurteilt wurden.

 

120 Fälle rollt Gisela Hormayr im Buch auf, für das sie ihre Dissertation umfassend überarbeitete. Sie schildert anhand von Gerichtsakten und erschütternden Dokumenten wie Briefen und Tagebüchern die Schicksale der Menschen, die als Staatsfeinde bekämpft wurden. "Was haben sie denn getan? Sie haben nur Gespräche geführt, Treffen arrangiert und Pläne für die Zeit nach dem Faschismus geschmiedet - es wurde keine einzige Aktion durchgeführt", fand Hormayr heraus. Trotzdem wurden 13 Angeklagte zum Tod verurteilt, 13 weitere kamen unter ungeklärten Umständen in Haft ums Leben, oftmals nach Misshandlungen und Folter.

 

Mit den Angeklagten litten die Familien - auch noch nach Kriegsende. "Wer von den Widerstandskämpfern überlebte, verhielt sich ruhig. Sie galten ja als Verräter. Familien haben selten erfahren, was ihre Angehörigen in Gestapohaft oder im Konzentrationslager erlebt haben", fand Gisela Hormayr heraus. Wer des "Verrates an der Volksgemeinschaft" verdächtig war, geriet ins Visier der Gestapo. "Innsbruck hatte die zweitgrößte Gestapo-Zentrale Österreichs", so Hormayr. Die Geheimpolizei hatte unbeschränkte Macht, die sie nicht nur bei den Verhören unter Anwendung von Folter ausübte. Sie konnte zeitlich unbegrenzte Schutzhaft verhängen, Menschen in KZ´s und Lager schicken, auch nach verbüßten Haftstrafen. Denunziation führte ebenso zur Verhaftung von Regimegegnern wie Unterwanderung verdächtiger Organisationen wie der Konsumgenossenschaften oder linker Gruppen.

 

Am Ende des Zweiten Weltkrieges vernichtete die Gestapo bis auf eine sämtliche Akten - warum ausgerechnet der gesamte Gerichtsakt des Ehepaares Josefine und Alois Brunner mit hunderten Seiten Vernehmungsprotokollen der Aktenvernichtung entging und im Landesarchiv landete, ist nach wie vor rätselhaft. Für Gisela Hormayr war der Aktenfund ein "Glücksfall", der über Verhörmethoden ebenso Aufschluss gibt wie über das damalige Umfeld.

 

Der Fall Josefine und Alois Brunner

 

Die Wörglerin Josefine Brunner wuchs als uneheliches Kind in Italien auf und kam erst als junge Frau mit wenigen Deutschkenntnissen zurück nach Wörgl. Anfang der 1930er Jahre lernte sie Alois Brunner über die Konsumgenossenschaft kennen, ging mit ihm ihre zweite Ehe ein. "Alois war kein unbeschriebenes Blatt - er war politisch aktiv, kämpfte 1934 beim Schutzbund, verbüßte danach eine Haftstrafe und wurde neuerlich fürs Verteilen von Flugblättern inhaftiert", schilderte Hormayr. Das Ehepaar lernte Waldemar von Knöringen kennen und begann mit dem Aufbau einer Gruppe, die sich nicht den aktiven Widerstandskampf zum Ziel gesetzt hatte, sondern den Aufbau eines sozialistischen Europa nach dem Ende des Faschismus. Sie planten weder Aktionen noch Sabotage, sondern wollten Kader für den Wiederaufbau schulen.

 

Nachdem Alois Brunner bereits amtsbekannt war, wurde Josefine für Kurierdienste zwischen Wien, Augsburg, Zürich und München eingesetzt. Sie transportierte Schriften, die in hohlen Schlüsseln und Buchdeckeln versteckt oder in unsichtbarer Tinte verfasste waren. "Diese technischen Details faszinierten die Nazis besonders, wie aus den Verhörprotokollen hervorgeht", schildert Hormayr, die hunderte Seiten Gestapo-Protokolle sichtete, die während der neunmonatigen Befragungen angefertigt wurden. Aus ihnen sowie aus Briefen geht hervor, wie Beide um ihr Leben kämpften, auf Begnadigung hofften. Beide wurden allerdings wegen Hochverrates vom Volksgerichtshof in Innsbruck zum Tod verurteilt und am 9. September 1943 hingerichtet.

 

Hormayr schilderte im Rahmen der Buchvorstellung weitere Schicksale wie das von Josef Axinger aus Axams, eines Kommunisten, der für das Verteilen eines Flugblattes wegen Hochverrates vor Gericht stand und wegen "Feindbegünstigung" zum Tod verurteilt wurde. Toni Rausch aus Kirchbichl war mit gut 30 Jahren einer der jüngsten, die im Zuge ihrer Widerstandstätigkeit hingerichtet wurde. Er zählte zu jener Gruppe, die um Adele Stürzl aus Kufstein entstand und die nach wenigen Monaten aufflog - 1944 wurden 31 davon hingerichtet.

 

Aus der langen kommunistischen Tradition in Schwaz entstand ebenfalls eine Widerstandsgruppe, die vermutlich durch Denunziation verraten wurde. Einer der führenden Köpfe, Max Bär, versuchte zu fliehen, wurde aber gefasst und 1943 hingerichtet.

 

"Die Geschichte ist zeitlich ganz weit weg - aber angesichts der vielen Fälle aus unserer Umgebung trotzdem so nah", meinte Erna Blattl bei der anschließenden Diskussion und äußerte ihr Entsetzen über Neo-Nazi-Bewegungen heute.

 

Die Erinnerung wach zu halten und die Gesellschaft sensibel für Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung heute zu machen ist Anliegen des Anne Frank Vereines, der seit 2012 seinen Sitz in Wörgl hat und die Wanderausstellung "Anne Frank - eine Geschichte für heute" von 25. April bis 16. Mai 2013 in der Galerie am Polylog im Rahmen des Projekte „Connecting Borders“ organisierte. Das Besondere an der Wanderausstellung, die beim Anne Frank Verein in Wörgl weiter verfügbar ist: Jugendliche begleiten die BesucherInnen durch die Ausstellung und diskutieren auch über aktuelle Bezüge betreffend Rassismus, Diskriminierung und Menschenrechte. Für die grenzüberschreitende Arbeit mit Jugendlichen wurde der Anne Frank Verein im März 2013 mit der Martin-Niemöller-Friedenstaube ausgezeichnet.

Fotorecht und Text: Veronika Spielbichler


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